Andreas Putz

halten, #4

Lost Heroes – Socialist Modernism?

halten, #4

112 Seiten mit ca. 160 meist farbigen Abbildungen, Zeichnungen und Diagrammen. Format 23 x 28,5 cm Softcover mit Klappen


ISSN: 2628-6165
ISBN: 978-3-943164-63-3

15,00 EUR

Die Arbeit an diesem Heft begann noch in einer anderen Epoche.

Daraus ergab sich die lange und wiederholte inhaltliche und redaktionelle Überarbeitung, begleitet von einem anhaltenden Zweifel, ob das angedachte Heft heute überhaupt noch möglich ist. Europa muss derzeit wieder aktiv verteidigt werden. »›Für sein Vaterland und für Europa sterben‹ ist ein Satz«, so Milan Kundera 1983, »der weder in Moskau noch in Leningrad gedacht werden könnte, aber eben in Budapest oder in Warschau.« Was Europa und was die Moderne ausmacht, steht aktuell zur Disposition und zwingt uns zur Selbstreflexion. Zwischen den vielen Narben, die diesen Kontinent und seine Geschichte prägen, ist mittendurch ein gewaltsamer Riss gezogen worden.

Es ist ein Anliegen dieser Ausgabe, darauf hinzuweisen, dass die Architektur der Moderne ›im Osten‹ (oder die Moderne Architektur der DDR) nicht auf die industrielle, staatliche Bauproduktion reduziert werden kann. Genauso wenig würde man die Architektur Westdeutschlands auf den Siedlungsbau der Neuen Heimat gGmbH reduzieren. Die Suche nach Bauwerken der Moderne, die nicht mit dem Label ›sozialistisch‹ zu verbinden sein werden, da staatsfern oder doch weitgehend unabhängig von politischen Motiven und Implikationen erschaffen, hatte allerdings einen anderen Ausgangspunkt:

Die ehemalige Gedenkstätte der Kommunistischen Partei Bulgariens), auch bekannt als Buzludzha Monument stellt den prototypischen Fall eines ungeliebten, schwierigen, ›unbequemen Denkmals‹ dar. Architektonisch durchaus vergleichbare Denkmäler prägen auch die Landschaften des ehemaligen Jugoslawiens. Sie stehen stellvertretend auch für die sowjetischen Kriegsdenkmäler und die aktuellen Diskussionen um deren Erhaltung.

Aber ist das Erbe der Moderne des 20. Jahrhunderts nicht grundsätzlich unbequem und umstritten? Es geht in diesem Heft letztlich um den Streitwert der Baudenkmäler des 20. Jahrhunderts. Gabi Dolff-Bohnekämper hatte diesen Begriff mit Blick auf die stadtplanerischen und denkmalpflegerischen Debatten in Berlin nach 1990 geprägt, als beide Stadthälften ihren politischen Referenzrahmen verloren hatten. Allerdings ist das bauliche Erbe des letzten Jahrhunderts im Westen weniger – oder in anderer Art und Weise – umstritten als jenes im Osten.

Taugen aber diese geographischen Koordinaten überhaupt? Überreste sozialistischer Architektur- und Bauproduktion finden sich heute am Moldauhafen (Vltavský přístav) in Hamburg oder auf dem Hof eines Steinmetzbetriebs in Gundelfingen an der Donau in Bayern. Ebenso geht dieses Heft der Entstehung und Umnutzung des ehemaligen jugoslawischen Pavillons auf der Brüsseler Expo 1958 nach. Das sozialistische Schaustück wurde als katholische Jungenschule ein Baudenkmal der Moderne in Flandern. Bauwerke aus sozialistischer Produktion finden sich auch im nicht-sozialistischen Globalen Süden, und umgekehrt trifft man kapitalistische Bauprodukte in den Prestigeprojekten der ehemaligen sozialistischen Staaten, auch in Buzludzha. Das letztlich alle diese baulichen Hinterlassenschaften – in all ihren Widersprüchen und Differenzen – Ausprägungen und Erzeugnisse der globalen und vernetzten Modernisierungsprozesse des 20. Jahrhunderts sind, war von Anfang an die Arbeitshypothese für dieses Heft und die Intention, dieses Erbe differenziert und unabhängig von geographischen Koordinaten in den Blick zu nehmen.

 Dieses Heft umschreibt eine Leerstelle, die wundersame Welt im Herzen Europas. Das Erbe der Modernisierung Mitteleuropas in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wird nicht mehr unter dem Label ›sozialistisch‹ oder gar ›sowjetisch‹ zu finden sein. Es ist ein europäisches Erbe. Noch ist es nicht verloren.

  

 

halten, #4

Jetzt Lieferbar